Demokratie

Seit ich in der Politik bin, beschäftigt mich die Frage, was braucht eine Demokratie zum Funktionieren und was kann ich dazu beitragen? Ich empfinde die Arbeit in einem demokratischen Gremium wie dem Gleisdorfer Gemeinderat als intensiv und ungemein spannend. Warum?

Weil dort unterschiedliche Teams aufeinandertreffen. Die Verschiedenheit ist dabei wesentlich. Diese Teams mit unterschiedlichen Werten, Lebensrealitäten und Erfahrungen tauschen sich aus, diskutieren miteinander und ja, manchmal streiten sie auch. Das ist gut so, das ist wichtig und richtig, weil am Ende kann dadurch eine gute Lösung gefunden werden.

„Eine Demokratie in der nicht gestritten wird, ist keine.“ Helmut Schmidt

Es mag Kolleg:innen geben, die das anders sehen. Ja, es mag unangenehm sein, wenn jemand Widerspruch und Kritik übt und ja, Sitzungen wären mitunter schnell erledigt, wenn es nur einen gibt, der anschafft und niemanden der was entgegenhält. Aber so funktioniert Demokratie nicht.

Widerspruch von anderen zu erhalten bedeutet, dass ich über meine Position nachdenken muss. Dass ich reflektieren muss, ob ich richtig stehe oder ob’s noch andere Optionen, bessere Alternativen gibt.

Das ist in jedem Fall wertvoll. Insbesondere wenn es eine absolute Mehrheit gibt. Absolut kommt vom lateinischen Wort absolvere – loslösen. Und damit eine solch losgelöste Macht nicht abhebt, dafür gibt’s die Opposition. Sie wirkt erdend, holt auf den Boden runter. Ist dafür da, die Gegensicht zu liefern, konstruktive Kritik zu äußern und damit eine Kontrollfunktion auszuüben. Macht braucht sinnvolle Gegengewichte - „Checks and Balances“. Sie sorgen dafür, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen gefunden werden kann.

Für mich wäre allzu große Harmonie ein Warnzeichen. Fast 90% der Beschlüsse im Gemeinde- oder Stadtrat werden einstimmig gefällt. Fragen zu Ankäufen, Personalfragen oder Verordnungen finden meist bei allen Zustimmungen. Aber in manchen Dingen gibt’s auch andere Sichtweisen. Mir ist wichtig, dass wir uns eine gute Diskussionskultur erhalten und diese auch pflegen und vor allem lernen, wie man gute Diskussionen führt. Dabei sind Offenheit und Neugier für die andere Seite wichtig. Gefühle und Befindlichkeiten verhindern Gespräche auf der Sachebene. Ebenso der Wunsch nach Harmonie und Zugehörigkeit. Wer will schon Außenseiter sein? Aber alle 31 Mandatar:innen gehören zum Gemeinderat und bringen die jeweilige Expertise ein. Das Vertrauen in diese Grundhaltung ermöglicht kontroverse Diskussionen frei von Unterstellungen und Verdächtigungen. Wenn ich Übergriffe fürchten muss, ist freies Denken und Reden beeinträchtigt. Und das verhindert gute Lösungen.

Eine gute Diskussion lebt davon, dass man sich mit der Sachlage beschäftigt hat. Dass ich mit Hilfe einer guten Informationsgrundlage beurteilen und dann auch an die Bevölkerung kommunizieren kann: Ist das eine gute Lösung oder nicht? Warum habe ich zugestimmt, was hat mich überzeugt, was hat mich zweifeln lassen? „Wird schon passen“ reicht mir nicht.

Ein Alt-Bürgermeister einer steirischen Gemeinde hat mir kürzlich Folgendes mitgegeben: „Meine sorgenvollste Zeit als Bürgermeister war die, als ich die absolute Mehrheit hatte. Die eigenen Leute haben darauf vertraut, dass ich’s schon richtig mache, und Opposition gab’s de facto nicht. Bleiben Sie offen, kritisch und voll großem Respekt gegenüber der Demokratie und ihren Werkzeugen.“ Diesen Rat nehm‘ ich mir zu Herzen.

Katharina Schellnegger, 2. Vizebürgermeisterin, Gleisdorf

Dieser Text ist in im Stadtjournal Gleisdorf, Ausgabe Juli 2023 erschienen. 
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